bis 26. Juni 2020
Moran Sanderovich schafft eine fantastische, sperrige Welt, welche von Wesen bevölkert wird, die einerseits vertraut, aber ebenso grotesk, urzeitlich und futuristisch, organisch und künstlich erscheinen – Wesen zwischen tot und lebendig, Hybriden der wissenschaftlichen Biotechnologie und Gentechnik. Sie gehören einem alten Stamm an, erzählt die Künstlerin in ihrer neuen Performance, “My Grand Grand Grand Grandfather’s Gun“, in der sie zu einer ihrer Nachkommen wird. Ihre Geschichte handelt von einem alten, militanten, religiösen Stamm gottergebener Jäger-Krieger, die fortschrittliche Technologien und ausgefeilte Opfermethoden entwickelt haben, um das Wohl ihres Volkes zu schützen.
Die Künstlerin arbeitet häufig mit Silikon, welches die medizinische Industrie verwendet, um fehlende Organe zu ersetzen. Dabei komplettiert es bedürftige Körper, wenn es sie nicht sogar zu Cyborgs (Haraway) aufrüstet.
Aber sind wir nicht alle zu Cyborgs geworden? Was ist ein Smartphone, wie das, welches Sanderovich zu einem Objekt des Stammes mutiert, wenn nicht eine technologische Prothese, eine künstliche Erweiterung unserer Handflächen, Finger, Augen und Stimmen, die wir in unseren Taschen vibrieren fühlen? Silikon wird auch in der plastischen ästhetischen Medizin und bei Operationen zur Geschlechtsumwandlung (Preciado) verwendet. Sanderovichs liebenswürdige, schöne Charaktere zeugen, mit ihren offenen Wunden, von der Gewalt gegen ästhetisierte, geschlechtsspezifische Körper, welche beängstigend in ihrer Andersartigkeit sind.
Die kinetische Statue Hairy Girl (2019) zeigt zum Beispiel das Schicksal eines jungen Clan-Mädchens, dass am ganzen Körper behaart ist. Der Stamm glaubt an die Kraft ihrer Einzigartigkeit und widmet sie Gott in einer besonderen Zeremonie, welche von invasiven chirurgischen Maßnahmen geprägt ist.
Ihr wunderbarer Charakter erinnert an viele Märchen und Mythologien, die Geschichten von abnormalen, übernatürlichen Körpern darstellen. Mittels Fiktion fragt Sanderovich nach der Realität: Warum beleben wir unsere Geschichten mit solchen Charakteren? Und warum vertreiben wir Körper, welche die Norm nicht gutheißen, bis in Märchen hinein?
Schließlich unterscheidet sich der seltsame, fiktive Stamm, den Sanderovich beschreibt, nicht so sehr von unserer heutigen menschlichen Gesellschaft. Mit der biologischen Waffe aus einer Spielzeugpistole erinnert uns die Künstlerin ironisch daran, dass wir immer noch in militärische Konflikte, religiöse Territorialkriege und gewalttätige Formen der Unterdrückung verwickelt sind. Jedoch entsteht aus dem Trauma eine Energie, eine Andersartigkeit, die in der beunruhigenden, weichen Arbeit der Künstlerin glänzt.
Dr. phil. Michal B. Ron